taz T970825.74
Nebensachen aus Moskau

Mit Wodka zu Gott

Auf diesen Säulen ruhte, ruht und wird Rußland ewig ruhen", verkündet ein
Werbeplakat. Drei Flaschen Wodka wackeln auf dem Panzer einer schwimmenden
Meeresschildkr"te, darüber breitet sich die russische Erde aus, symbolisiert
durch ein Knäuel hominum alcoholicorum in verschiedenen Stadien der
Trunkenheit. Die Petersburger Intelligenz nahm Anstoß und rief ein Gericht
an.Nicht, um gegen die ausufernde Alkoholwerbung zu protestieren. Vielmehr
empfand sie die Reklame als rassistisch und antirussisch. Die Richter wiesen
die Klage ab, mit dem Verweis auf noch eindeutigere Aussagen - "Smirnoff -
der russische Charakter" oder "Still ihn!".
 Das "Wässerchen" - Wodka - hält in Russland Gemüter und Kreislauf am
Kochen. Mal sind es illegale Importe und erh"hte Steuern. Ein andermal
Panschereien mit Todesfolge. Nur eines wird nie erwähnt: die katastrophalen
Folgen der von der Gesellschaft geheiligten Trinkgewohnheiten.
 Ein Betrunkener ist in Rußland eine heilige Person. In einer Gesellschaft,
die nur rudimentäre Formen der gegenseitigen Achtung entwickelt hat,
erstaunt das zunächst, aber erklärt auch einiges: "Der Betrunkene im Nebel
schaut Gott", weiß ein russisches Sprichwort. Ihm muß man Hilfe angedeihen
lassen, während Kranke und Schwache kaum ein Minimum an Zuwendung erhoffen
dürfen.
 Torkelt der Ehemann nachts nach Hause, wartet auf ihn selten eine zürnende
Ehefrau. Im Gegenteil, er wird sanft gebettet und umhegt. Ein echter muschik
schluckt, bis er umkippt. Frauen, die unter dem Alkoholismus ihrer Partner
schwer zu leiden haben, halten dieses Image absurderweise noch
aufrecht.Selten mahnt die Gattin zum Maßhalten. Anscheinend verbietet das
der Trinkritus, der den Vierzigprozentigen zu einer rituellen Droge erhebt.
Und da jeder Ritus immer einen Bezug zum Jenseitigen aufweist, kann er
keinen Schaden anrichten.
 "Bei uns trinkt man nicht aus Geselligkeit, zur Entspannung und in Massen",
meinte kürzlich ein Soziologe. Man trinke aus Langeweile, wenn man nichts zu
tun habe, indes mühelos etwas tun k"nnte. Oder weil man nichts tue, da man
glaube, packe man es an, wäre es ohnehin umsonst. Das Trinken simuliert die
Erfahrung einer Grenzsituation. Das Ziel steht fest: gemeinsam in die
Besinnungslosigkeit.
 Natürlich greift man zum Glas, um miteinander zu reden. Doch der Dialog in
Rußland ist noch nicht die gängige Form der Kommunikation. So endet der
Wodkadiskurs stets im Monolog mit einer strengen Liturgie: Der letzte
Wankende wendet sich lallend an den weggesackten Zechkumpan: "Achtest du
mich überhaupt?" Danach tritt auch seine Seele aus dem K"rper und bewegt
sich in Freiheit.
Klaus-Helge Donath
 Bemerkung:Kolumne
 TAZ Nr. 5313 vom 25.08.1997 Seite 7 Ausland 90 Zeilen
Kommentar Klaus-Helge DonathC Contrapress media GmbH