Zwei Artikel aus der TAZ zum Thema Technomusik und Partydrogen...
[vom 10.7.97]

Technomusik und Partydrogen gehoeren angeblich unweigerlich zusammen. Die
erste breitangelegte Studie ueber Drogenkonsum in der Technoszene jedoch
relativiert diese Annahme. Die Haelfte der befragten Raver nimmt ueberhaupt
keine Drogen, und fur den Rest gilt: Droge Nummer eins ist nicht Ecstasy,
sondern Cannabis.
Hasch bringt die Raver in Ekstase
Alle Jahre wieder die gleichen Fragen. Schwingende Hueften, lachende
Gesichter, winkende Haende. Ist es die Musik, die Sonne, oder sind es die
Drogen? Kann man auch nuechtern raven, oder sind Techno und Ecstasy zwei
Seiten der gleichen Medaille?
 Aufklaerung kommt aus Koeln. Puenktlich zur Love Parade legt die
Bundeszentrale fuer gesundheitliche Aufklaerung (BZgA) in diesen Tagen die
erste breitangelegte Studie ueber Drogenkonsum in der Techno-Party-Szene vor.
Das Ergebnis uberrascht. Zwar ist die Affinitaet zu Rauschdrogen unter Ravern
eindeutig hoeher als beim Rest der Bevoelkerung. Knapp die Haelfte der
befragten Raver jedoch nimmt aktuell ueberhaupt keine illegalen Drogen. Und
fuer den Rest gilt: Droge Nummer eins ist nicht Ecstasy, sondern Cannabis.
 Man kann demnach davon ausgehen, dass der groesste Teil der
Love-Parade-Besucher ueberhaupt keine Drogen in der Tasche hat. Und die
Mehrzahl der drogenkonsumierenden Raver wird eher eine Tuete Marihuana als
ein Pillendoeschen dabei haben. Wenn jedoch jemand Pillen mit sich
herumtraegt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auch noch andere Drogen
wie Amphetamine, Halluzinogene oder Kokain dabei hat.
 Durchgefuehrt wurde die Studie vom Berliner Sozialpaedagogischen Institut
(SPI).Das Forscherteam befragte im Laufe des letzten Jahres 1.674 Raver in
Berlin, Hamburg, Nuernberg, Magdeburg sowie Broellin und Heiddorf in
Brandenburg danach, ob, seit wann, wieviel, wie haeufig und mit wem sie
Drogen konsumieren. Um einen Querschnitt durch die Szene zu gewaehrleisten,
wurden die Frageboegen in kleineren Clubs, auf Grossraves und bei
Strassenparaden verteilt.
 An der Spitze der Drogenbeliebtheitskala rangiert laut SPI- Studie mit
weitem Abstand Cannabis. 69 Prozent aller befragten Raver hat schon einmal
gekifft, 49 Prozent im letzten Monat, 14 Prozent aller Raver kiffen sogar
taeglich. Erst dann folgen die anderen Drogen: die Haelfte aller Raver hat
Erfahrung mit Ecstasy, 44 Prozent mit Speed, 37 Prozent haben Halluzinogene
probiert und 30 Prozent schon einmal Kokain geschnupft. Fuer den aktuellen
Konsum gab jeder dritte an, im letzten Monat eine Pille genommen zu haben,
jeder vierte hatte Speed gezogen und jeder sechste einen Trip geschluckt
oder gekokst.
 Dem knappen Drittel aller Befragten, die noch nie eine illegale Droge
genommen haben, steht eine ungefaehr genauso grosse Gruppe von Ravern
gegenueber, die ueber Erfahrungen mit vier oder mehr Drogen verfuegen. Denn
wenn in der Technoszene illegale Drogen eingeworfen werden, dann richtig:
Die Mehrheit der drogenkonsumierenden Raver nahm im Monat vor der Befragung
zwei, drei oder mehr illegale Substanzen zu sich. Der reine Ecstasykonsum
kommt dabei praktisch nicht vor. Nur vier Prozent der befragten Raver nehmen
ausschliesslich die bunten Pillen. Die dominierende Tendenz ist eher die
Polytoxikomanie, der froehliche Mischkonsum. Hier herrscht die Kombination
Cannabis - Ecstasy - Speed vor, ergaenzt durch Halluzinogene und/oder Kokain.
Je hoher der Konsum an illegalen Drogen, desto weniger Alkohol wird
getrunken und desto mehr Zigaretten werden geraucht.
 Den Namen "Partydrogen" tragen die synthetischen Stoffe nicht umsonst.
Waehrend der Cannabiskonsum vom Zeitpunkt des Szeneeinstiegs relativ
unabhaengig ist, ergibt die Studie, dass die meisten Raver ungefaehr zwei Jahre
nach ihrem Einstieg in die Technoszene zum erstenmal Ecstasy oder Speed
nehmen. Ausserdem wird der Drogenkonsum staerker davon bestimmt, wie haeufig
und wie lange ausgegangen wird, als davon, ob die Freunde Drogen nehmen. Das
in den Siebzigern vorherrschende "Modell", in der Gruppe Drogen zu nehmen,
um gemeinsam auf die Reise zu gehen, ist ersetzt durch das "Modell" Party:
Drogen nehmen, um den Spass zu steigern. Das Ausgehen ist Ravern wichtiger
als die Bezugsgruppe.
 Fuer den typischen drogenkonsumierenden Raver zeichnet die Studie etwa
folgendes Bild: Er ist zwischen 18 und 21 und geht jedes Wochenende aus,
manchmal auch an zwei Tagen. Dabei verbringt er zwischen 9 und 16 Stunden in
Clubs oder auf Parties. Er hat Freunde in der Technoszene, die auch Drogen
nehmen. Und je laenger er in der Szene bleibt, desto staerker der
Drogenkonsum.
 Erstaunlicherweise halten die Raver ihren Drogenkonsum fuer relativ riskant.
Zwar wird Cannabis in der Szene als aehnlich ungefaehrlich eingeschaetzt wie
Alkohol oder Nikotin. Die synthetischen Drogen werden jedoch als relativ
gefaehrlich angesehen.Bei Ecstasy werden vor allem psychische, bei Speed
physische Schaeden befuerchtet.Dieses Bewusstsein haelt jedoch die wenigsten vom
Konsum ab. Es scheint eher ein Bewusstsein wie beim zigarettenrauchenden Otto
Normalverbraucher vorzuherrschen: Mich wird es schon nicht treffen, und wenn
ich wirklich aufhoeren will, dann hoere ich auch auf.
 Die froehlichen Gesichter zu Beginn der Love Parade - es kann also auch an
der Sonne und an der Musik liegen. Wer dagegen Montag vormittag im Berliner
Bezirk Mitte noch an der Leipziger Strasse sitzt, auf halbem Weg zwischen den
Technoclubs Tresor und E-Werk, und den Berufsverkehr an sich vorbeiziehen
laesst, hat mit grosser Wahrscheinlichkeit ein drogenverstrahltes Wochenende
hinter sich.
Tobias Rapp
 TAZ Nr. 5274 vom 10.07.1997 Seite 3 Tagesthema 175 Zeilen
TAZ-Bericht Tobias RappC Contrapress media GmbH
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Bunte Bilder, haufenweise Pillen, bleiche Gesichter
Regelmaessiger Partydrogenkonsum hat zweifellos negative Folgen. Aber die
Denunzierung derjenigen, die illegalisierte Drogen nehmen, ist verlogen
Bis vor zwei Jahren feierten die Medien die Techno-Szene. Anders als die
schmutzigen Punks, die schlaffen Hippies und Haschdeppen lieferten die
verschwitzt laechelnden Technofreunde Bilder, die die Werte der Leistungs-
und Freizeitgesellschaft zu propagieren schienen: Leistungsbereitschaft,
Narzismus, Konsumfreude und Amuesierfaehigkeit.
 Inzwischen haben sich die Akzente verschoben. Aus dem sportlichen
Technofreund wurde der defizitaere Drogenuser. Kaum eine Woche vergeht ohne
investigative Features ueber Techno und Partydrogen. Die Muster der
Reportagen gleichen einander: zunaechst bunte Diskobilder, dann bleiche
Gesichter, Leute, die haufenweise Pillen einschmeissen, dann Interviews mit
reuigen Dealern, ehemaligen oder aktuellen jungen Drogenopfern, deren Konsum
das uebliche um das zehn- bis zwanzigfache ueberschreitet und die nach dem
Muster der Beichte Zeugnis ablegen.Oft mit verzerrter Stimme oder
unkenntlich gemachten Gesichtern - damit es dramaturgisch gut kommt -
erzaehlen sie vom kurzen Drogenhoneymoon, von den unglaublichen Mengen, die
sie sich ein paar Jahre lang zumuteten, von traurigen Abstuerzen und den
schwierigen Rueckkehrversuchen in die "Normalitaet".
 Gibt sich die Drogenreportage liberal, so endet sie mit dem tremolierenden
Hinweis, dass die Chancen von Jugendlichen, hierzulande auch nur einen
Ausbildungsplatz zu finden, immer geringer werden. Drogenkonsumenten, die ab
und an mal kiffen, zuweilen eine oder eine halbe oder eine viertel
Ecstasytablette nehmen, sich mit Viertel- oder Achtel-LSD-Trips dopen und
ansonsten ein ziemlich normales Leben fuehren, sind nicht vorgesehen. Die
moralischen Geschichten sollen ja gerade die Unmoeglichkeit, mit
illegalisierten Drogen umzugehen, belegen und das vorgegebene Planziel
illustrieren: Keine Macht den Drogen! Just say NO!
 Weil das angebliche Drogenproblem derer, auf deren Lebensstil man ohnehin
ein bisschen neidisch ist, den Normalbuerger in seinen Werten bestaetigt, ist
jeder angebliche Ecstasy-Tote eine potentielle Bild-Schlagzeile und wird mit
einer gewissen Befriedigung ausgeschlachtet. Die Verkuendigung der
offiziellen Drogenopferzahlen hat oft auch etwas Triumphierendes. Die
Teufelsdroge Ecstasy etwa haette 1995 18 Menschen dahingerafft, gab 1996 das
BKA bekannt. Recherchen des Berliner Technovereins Eve & Rave zeigten ein
anderes Bild: In drei Faellen wurde ein Zusammenhang mit Ecstasy ausdruecklich
verneint, in einem Fall galt das Opfer als Heroinkonsument, in zwei Faellen
lag Drogenmischkonsum vor. Zweimal gab es weder einen Obduktionsbericht noch
ein toxikologisches Gutachten. Bei dem einzigen Toten, der nachweislich nur
Ecstasy genommen hatte, wurde als Todesursache ein Zusammenwirken von
chronischer Herzschwaeche, koerperlicher Anstrengung und Ecstasykonsum
vermutet.
 Sicher haben viele Leute in der Technoszene Drogenprobleme, die nicht nur
mit den verwendeten Drogen, sondern auch mit den Bedingungen der
Illegalitaet, unter denen sie genommen werden, mit individuellen und sozialen
Faktoren zu tun haben.Wahrscheinlich ist es auch schwieriger, mit illegalen
Drogen umzugehen als mit legalen. Nur muten die Schwierigkeiten derer, die
meist nur eine begrenzte Zeit lang Rauschgifte benutzen, verglichen mit
denen, die man hierzulande mit legalen Drogen wie etwa Alkohol hat,
verhaeltnismaessig gering an. Man stelle sich nur einmal vor, jeder der
angeblich 80.000 Alkoholtoten wuerde mit einer Schlagzeile gewuerdigt werden.
 Man moechte da gar nichts gross relativieren; der in der Drogendiskussion im
allgemeinen ignorierte Siegeszug der reinen Leistungsdroge Speed etwa - "die
unterschaetzte Droge schlechthin", wie Amendt und Walder in ihrem
empfehlenswerten Buch "Ecstasy & Co" (rororo) schreiben - hat schon etwas
Gruseliges. Regelmaessiger Ecstasykonsum fuehrt in der Regel zur Verbloedung und
anderen vor allem psychischen Unannehmlichkeiten, nur nervt die Verlogenheit
der Diskussion.
 Die Medienszene, in der Nasendrogen extrem verbreitet sind, liefert die
schaurigsten Drogenreportagen, aber Drogen nehmen immer nur die anderen.
Drogen indes sind nicht nur in der Technoszene und nicht nur unter
Jugendlichen beliebt.In meinem Bekanntenkreis zum Beispiel, wo die meisten
so zwischen Ende 20 und 45 sind, raucht man eher Hasch oder Marihuana,
anstatt Alkohol zu trinken. Einige nehmen auch ab und an LSD, Psilocybin,
Ecstasy, Kokain oder Speed. Einige sind freiberuflich taetig, andere haben
durchaus verantwortungsvolle und gutbezahlte Posten in bekannten Medien, ein
befreundeter Herzchirurg kifft gerne beim Fussballgucken, einer ist
arbeitslos und wohl haschsuechtig, wie ich ihm vor kurzem mal vorwarf. Dann
machte er entruestet einen Monat Pause und schlug mich dann im Schach.
Detlef Kuhlbrodt
 TAZ Nr. 5274 vom 10.07.1997 Seite 3 Tagesthema 150 Zeilen
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