Kommentar
Lintners letzter Bericht
Drogen: Die Junkies haben wieder schlechte Zahlen abgeliefert
Die Junkies haben versagt. Sie haben es wieder nicht geschafft, eine
anständige Rauschgiftbilanz abzuliefern. Erneut mehr als 1.500
Tote.
Anstatt endlich eine Maß Bier zu trinken, die noch keinem geschadet
hat,
spritzen sie sich ständig mit dreckigen Nadeln furchtbares, mit
Backpulver, Waschpulver und Strychnin gestrecktes Heroin in die kaputten
Adern, um dann auf dem Bahnhofsklo tot umzufallen. Dreist! Warum tun
die
das? Warum k"nnen die kein geregeltes Leben führen so wie unser
Herr
Lintner, der Drogenbeauftragte der Bundesregierung? Wo das
Heroinspritzen doch verboten ist.
Man kann nur noch zynisch auf das Ritual der Totenzählung
der deutschen
Drogenpolitik reagieren. Nach wie vor wird dort das
"Rauschgiftgeschehen" entweder als schicksalhafte Naturkatastrophe
abgehandelt oder als seien die Opfer selbst schuld. Die Drogentoten
sind
aber das direkte Spiegelbild der Drogenpolitik. Der internationale
Vergleich zeigt, wie schlecht die Deutschen mit ihrer ungebrochenen
Verfolgungspolitik dastehen. Die Todeszahlen sind zwar leicht
zurückgegangen. Doch nach dem eklatanten Anstieg vor zwei Jahren
bedeutet die neue Bilanz nur eine Stabilisierung auf schlechtem Niveau.
Das Erfreulichste an dem Bericht ist die Tatsache, daß
es aller
Voraussicht nach der letzte von Eduard Lintner war. Wenn es denn ein
sicheres Feld gibt, auf dem sich ein Regierungswechsel erfreulich
auswirken dürfte, dann ist es die Drogenpolitik. Die Gesellschaft
ist
reif für eine Veränderung. Viele Polizeipräsidenten,
CDU-
Oberbürgermeister, große Teile der Kirchen, der FDP und
der SPD, jetzt
auch die Ärztekammer: Sie alle fordern den Kurswechsel, sie alle
sehen,
daß die stur repressive Politik Menschen umbringt und Abermillionen
kostet. Fixerstuben, Streetworker, kontrollierte Heroinabgabe,
medizinische Betreuung, großzügige Ersatzstoffprogramme:
Die Instrumente
einer anderen Politik sind erprobt, und sie werden Drogenkranken neue
Chancen er"ffnen.
Bis zur Bundestagswahl wird sich wenig tun. Die FDP-Abgeordneten,
die
einen Kurswechsel befürworten, werden stillhalten. Danach beginnt
ein
neuer Abschnitt der Drogenpolitik. Bis der über das Niveau von
Modellversuchen hinausgewachsen ist, werden nochmals Jahre vergehen.
Bis
dahin werden weiter einmal im Jahr Tote und beschlagnahmte Tütchen
gezählt und Krokodilstränen vergossen.
Manfred Kriener
Bemerkung: Leitartikel
TAZ Nr. 5481 vom 13.03.1998 Seite 1