folgender Bericht stand in der TAZ vom 25.8.97:

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Berlin hanft maechtig los

In der Hauptstadt demonstrierten Tausende von Hanffans fuer eine Legalisierung
der weichen Droge

Aus Berlin Detlef Kuhlbrodt
Bunte Raver tanzen laechelnd neben und auf LKWs, naturwuechsig aussehende
Althippies mit vielen Haaren und imposanten Rauchgeraeten sitzen auf dem
Boden, ein Jamaikaner singt froehliche Haschlieder, leicht bekleidet wippen
huebsche Maedchen und verkaufen Cannabis-Kaeppis. Auf ihrem Transparent
fordert der "Bund unabhängiger Hanfrebellen" (BUH): "Sag' BUH zum Hanfverbot".
Relaxt faehrt Christian Stroebele, ehemals Vorstandsmitglied der
Buendnisgruenen, auf einem schicken Fahrrad neben Parteigenossen, die
auffallend aehnliche Fahrraeder benutzen. Auch der ehemalige
St.- Pauli-Keeper Volker Ippig ist mit dabei.
Wie viele bei der Berliner Hanfparade am Samstagnachmittag vom
Ernst-Reuter-Platz bis zum Brandenburger Tor "mit Hanf in die Zukunft
gehen" wollten und fuer die Legalisierung der sympathischen Rausch- und
Nutzpflanze demonstrierten, war wie gewoehnlich nicht so klar: Das ZDF
sprach von 7.500 Haschbruedern, andere von 50.000.

Aufgerufen hatten diverse Hanforganisationen, Drogenarbeitsgruppen, der
PDS-Bundesvorstand, Grune, Jusos, Junge Liberale und auch der Kreuzberger
Bezirksbuergermeister Franz Schulz. Ein bunt generationsuebergreifendes
Publikum war gekommen - die Hanfparade praesentierte sich als eher
laendliche, agrar- und bewusstseinspolitisch protestierende Tochter der
Love Parade.
Es gab: viele Kinder, Tausende von Broschueren, mit denen man sich bewarf,
Tausende von Waren der mittelstaendischen hanf- und haschrauchbegleitenden
Industrie, ein Zelt, in dem die vielfaeltigen Nutzmoeglichkeiten von
Cannabis vorgestellt wurden. Waehrend froehlich konsumiert und gefeiert
wurde, eroeffnete die haschfreie Politprominenz, unter ihr Bundespraesident
Roman Herzog, das Grandhotel Adlon - 100 Meter vom Brandenburger Tor und
von den dumpf-droehnenden Baessen der Abschlusskundgebung entfernt.

Manchmal war es wie bei den frueheren Love Paraden: ueberall klasse Techno,
prima Tanzen; nette Gesichter laechelten einen an, bis man dann selber ins
Dauergrinsen geriet. "Sehr schoen", sagte einer mit Hanfblaettern im Haar;
"Geil, cool, witzig, und das fetzt ja", meinte Judith (20), die nicht mehr
taeglich kifft, weil das "uncool" ist. Ein weisshaariger Tourist um die
fuenfzig fand die Parade "skurril", wollte aber nicht ueber Dinge urteilen,
von denen er nichts verstuende. "Es gibt ja Leute, die sind dafuer,
und andere sind dagegen." Frueher haette er auch einmal gekifft. Da sei
ihm sehr schwindlig geworden. Deshalb: "Nie wieder".
Vier bis fuenf Millionen rauchen hierzulande Hasch. Kiffer gibt es
mittlerweile in allen Institutionen und Parteien, in Gerichten sowieso,
aber auch im Finanzamt. Auf Verstaendnis stoesst der stetig wachsende
Konsum mittlerweile sogar in der CDU. Angesprochen auf die technoiden
Drogenexzesse, meinte ein Berliner CDU-Politiker kuerzlich bei der Love
Parade: "Nun hoeren Sie doch auf. Wir haben doch auch damals mit Captagon
die Naechte durchgetanzt." Natuerlich sagte er dies nicht oeffentlich,
denn soweit wagen sich christdemokratische Drogenfreunde noch nicht vor.
Mutig dagegen war am Samstag ein PDS-Mann, der bei der Abschlusskundgebung
freimuetig bekannte, er wuerde gern kiffen. Vermutlich kiffen viele,
weil "bekifft sein" so lustig beschwingt und sympathisch klingt und gar nicht
haschdeppenmaessig lethargisch.
Einerseits laechelte die Polizei am Samstag zuweilen charmant, andererseits
streiften Polizeigreiftrupps in Zehnergruppen durch den Tiergarten auf der
Suche nach Dealern, auf deren Seite man konsequenterweise auch als
Feierabendkiffer zu stehen hat. Ein junger, muerrischer Polizist wollte
kein Freund von Traurigkeit sein und sagte, er muesse ja leider "privat
und oeffentlich trennen". Wer erwachsen sei, muesse wissen, "was er tut".
Nur gegen die "Kanacken", die auf Schulhoefen dealen wuerden, wuerde er
vorgehen.

Irgendwann hatte die Polizei einen Kiffer gefangen und wollte ihn
abtransportieren, weil er seine Papiere nicht dabeihatte. Fuenfhundert
Leute umringten die Wanne, eine Sitzblockade verstellte den Weg, und
alle riefen im lustigen Chor: "Eins, zwei, drei - lasst den Kiffer frei!"
Was dann, nach einiger Zeit, auch geschah.

TAZ Nr. 5313 vom 25.08.1997 Seite 5 Inland 131 Zeilen
TAZ-Bericht Detlef Kuhlbrodt